Scientology ist weltweit tätig, wie hier in Pretoria/Südafrika.                                                                                                                         Foto: Meinrad Heck

 

 

Auftraggeber: Scientology

 

Von Thomas Schuler (Juli 2011)

 

"Investigative Reporter gesucht." Die Anzeige, die im Juli in einer amerikanischen Jobbörse im Internet erschien, klang interessant. Freie Journalisten sollten für eine seit 40 Jahren eingeführte Zeitschrift, die dem Allgemeinwohl verpflichtet sei, an langfristigen Projekten zum Thema Menschenrechte und Soziales recherchieren, die Bezahlung sei Verhandlungssache. Konkret habe die Chefredaktion Aufträge in New York, in Los Angeles und im Süden von Texas zu vergeben. Verlockende Aussichten in einem Land, in dem in den vergangenen Jahren mehr als 10000 Journalisten gefeuert wurden und vor allem investigative Journalisten kaum Arbeit finden, weil ihre Recherchen zu kostspielig sind. Das Problem der Anzeige ist der Auftraggeber: die Scientology-Sekte.

 

Die selbst ernannte Kirche versucht mit Hilfe ihrer mehrsprachig erscheinenden Zeitschrift Freedom, die Krise vieler Zeitungen für ihre Zwecke zu nutzen. Statt um Menschenrechte und Religionsfreiheit geht es Scientology in Wirklichkeit meist nur um die eigene Freiheit. Journalisten sollen in ihrem Auftrag Kritisches über Aussteiger und Gegner schreiben. Die Sekte hat schon mehrfach versucht, Reporter mit deren eigenen Waffen zu schlagen und lässt sie dazu bei Recherchen und Interviews von ihren eigenen Mitarbeitern filmen. 2007 drehte sie ein Video über John Sweeney, der sechs Monate für eine BBC-Reportage recherchierte. Während der Interviews warf ihm Scientology wiederholt vor, er sei voreingenommen. Einmal verlor Sweeney die Nerven und schrie den Sprecher der Scientologen an. Er sei "explodiert wie eine Tomate", schrieb Sweeney später zerknirscht über den eigenen Auftritt, den Millionen sahen. Denn Scientology stellte den Ausschnitt am Tag der BBC-Ausstrahlung auf YouTube und veröffentlichte ein Video, um die Glaubwürdigkeit der BBC-Reportage anzugreifen.

 

Videos über Kritiker

 

Sweeney entschuldigte sich öffentlich, berichtete aber weiter kritisch über die Sekte. Freedom veröffentlichte damals lange Artikel gegen die BBC. 2010 wiederholte sich das Ganze mit CNN. Auf 20 Seiten und unter dem Titel "A History of Lies" (Eine Lügengeschichte) warf die Sekte dem Nachrichtensender CNN und seinem Journalisten Anderson Cooper vor, Tatsachen zu verdrehen und falsch und fehlerhaft zu berichten. Wieder produzierte Scientology ein Video, das dem Heft als DVD beilag. Wer wie BBC und CNN Kritiker und Aussteiger zu Wort kommen lässt, wird als Lügner beschimpft.

 

Was Scientology mit Freedom produziere, sei kein Journalismus, sondern Marketing oder PR, betont Nicholas Lemann, der Chef der angesehenen Journalistenschule der Columbia University in New York. Ziel dieser Berichte ist vermutlich nicht die allgemeine Öffentlichkeit. Vielmehr will Scientology die eigenen Mitglieder beruhigen, die Kritik bitte nicht ernst zu nehmen. Doch die Sekte verzeichnet mit ihrer Strategie Teilerfolge. Mit einer ähnlichen Anzeige wie der eingangs erwähnten warb sie 2009 zwei namhafte, unter anderem mit einem Pulitzer-Preis und einem Emmy ausgezeichnete investigative Reporter an, um gegen die Tageszeitung St. Petersburg Times in Florida zu recherchieren. Die Zeitung ist der Sekte seit Jahrzehnten verhasst und Ziel ihrer Angriffe.

 

Im 100.000-Einwohner-Küstenort Clearwater in Florida unterhält die Sekte eine von zwei Zentralen (die andere ist in Los Angeles). Scientology besitzt 54 Gebäude in Clearwater; in der Region leben rund 10.000 Scientologen. Als "Scientology Town" hat die St. Petersburg Times die Stadt beschrieben. Die führende Zeitung der Region gehört einer Journalistenschule - dem gemeinnützigen Poynter Institut - und hat die Sekte mit Enthüllungen immer wieder in Bedrängnis gebracht. Sie war es, die im Januar 1976 herausfand, dass sich Scientology unter falschem Namen eingekauft hatte. Scientology setzte die Times daraufhin als "Feind Nummer eins" an die Spitze einer Liste von Gegnern, die es gelte zu infiltrieren und zu bekämpfen. Die Times stand dort vor allen anderen Kritikern: dem Bürgermeister, dem Lokalfernsehen und den Justizbehörden. Mehrfach brach Scientology in die Anwaltskanzlei der St. Petersburg Times ein und gelangte so in den Besitz von Schriftsätzen, Memos sowie Briefen und erfuhr Details laufender Recherchen. Für ihre hartnäckige Aufklärung dieser Praktiken erhielt die Times 1980 den Pulitzer-Preis.

 

Im Sommer 2009 veröffentlichte die Zeitung nach monatelangen Recherchen erneut eine aufwendige Enthüllungsserie. Einige der ehemals ranghöchsten Mitstreiter von Sektenchef David Miscavige hatten sich der Zeitung anvertraut und brachten gegen ihn schwere Vorwürfe vor. Während sich Miscavige von seinen Leuten als Erneuerer und gar Retter von Scientology feiern lasse, sei er in Wirklichkeit dabei, den Zusammenhalt zu zerstören. Er habe in der gesamten Organisation eine Kultur der Gewalt etabliert. Scientology betonte, die Vorwürfe seien "absolute und totale Lügen". Glaubwürdig klang die Sekte mit ihrer Verteidigung nicht. Mehrfach griff Scientology die Times zudem in ihrer Zeitschrift Freedom an und warf ihr "Diebstahl, Bestechung und Spionage" vor, außerdem Fanatismus, Scheinheiligkeit und "schwere Verstöße gegen journalistische Ethik" vor. Warum? Weil die Times den Sektenchef Miscavige nicht zu den Vorwürfen befragt habe. Dabei hatte die Zeitung ihn mehrfach angefragt und eine Stellungnahme von Scientology abgedruckt. Was die namhaften Journalisten betrifft, die Scientology gegen die St. Petersburg Times anheuerte, so blieb es beim Teilerfolg der Anwerbung: Ihr 20-seitiger Bericht fiel offenbar nicht so kritisch aus, wie Scientology sich erhofft hatte, er wird bis heute unter Verschluss gehalten.

 

Inzwischen haben mehrere nationale Medien, darunter CNN, die New York Times und die angesehene Zeitschrift New Yorker, die Kritik der Aussteiger aufgegriffen; die Bundespolizei FBI ermittelt angeblich wegen Menschenhandel. Zu den Aussteigern zählt Marty Rathbun, die ehemalige Nummer zwei bei Scientology. Rathbun fungierte als Auditor (eine Art spiritueller Berater und Beichtvater) des Schauspielers Tom Cruise und war maßgeblich beteiligt, als Scientology mit mehr als Tausend Einzelklagen massiv Druck auf die amerikanische Finanzbehörden ausübte und so die Steuerbefreiung 1993 erzwang.

 

Recherchen in Texas

 

Darüber hat Rathbun ausführlich in Interviews gesprochen. Scientology führt Krieg gegen ihn. Man bekämpft sich gegenseitig im Internet in Blogs. Scientology hat offenbar ein Filmteam angeheuert, berichtet Rathbun, das ihn auf Schritt und Tritt verfolgt und filmt - offiziell wieder einmal nur, um eine unabhängige Dokumentation zu drehen. Heute lebt Rathbun übrigens in einer Kleinstadt im Süden von Texas - genau dort hat Scientology jetzt wieder einen "unabhängigen" Rechercheauftrag im Dienst der Menschenrechte zu vergeben.

Was die investigativen Journalisten betrifft, die Scientology gegen die St. Petersburg Times anheuerte: Ihr Bericht fiel offenbar nicht so kritisch aus, wie Scientology sich erhofft hatte. Denn die Sekte hält ihn bis heute unter Verschluss.

 

(publiziert in der "Berliner Zeitung")