Andrea Rehmsmeiers Recherche im SPIEGEL (53/2015)

Die Kaviar-Dealer

Ihre Recherche drohte zu scheitern als Andrea Rehmsmeier damit im März 2015 zu Thomas Schuler in ein Seminar über investigative Recherche der Akademie der Bayerischen Presse kam. Es ging „nicht vorwärts und nicht rückwärts“, wie sie sich erinnert. In München lernte sie „jede Menge Recherchewege“ kennen, mit denen sie dann – gemeinsam mit einem Kollegen des SPIEGEL - weiter kam. Der SPIEGEL druckte ihre erste Geschichte „Gemolkene Fische“ über fragwürdige Geschäfte mit Kaviar in Heft 35 / 2015. Ihre Folge-Recherche "Die Kaviar-Dealer" publizierte der SPIEGEL (53 / 2015) gleich auf drei Seiten. Wir gratulieren und freuen uns, dass wir ein wenig haben helfen können. Hier beschreibt Andrea Rehmsmeier die Recherche und wie ihr das Workshop-Seminar geholfen hat.

 

 

Das Marketing-Märchen vom „ethischen Kaviar“

 

Von Andrea Rehmsmeier

 

Im vergangenen Dezember fand ich einen anonymen Brief in meiner Post. Es war das Schreiben einer Privatperson. Der Brief wirkte alles andere als Vertrauen erweckend: Acht eng beschriebene Seiten, mehr Polemik und wüste Beschuldigungen als echtes Insiderwissen. Es ging um ein Störzucht-Unternehmen in Bremerhaven, das den teuren schwarzen Kaviar produzierte, und damit bereits für einigen Presserummel gesorgt hatte. Die Verärgerung des Briefeschreibers über die Berichterstattung konnte ich nachvollziehen: Die Methode, an den Rogen heranzubekommen, ohne den Fisch schlachten zu müssen, wurde in der Presse – ohne jede kritische Distanz der vom Unternehmen ausgegebenen Marketingbotschaft folgend – durchgehend als „Weltneuheit“ und/oder „ethisch korrekt“ bejubelt. Der anonyme Briefeschreiber behauptete dagegen, die ganze Firma sei eine Phantomproduktion, die nicht einmal Fische besitzt.

 

Die Deutschlandredaktion des Spiegel fand das Thema grundsätzlich interessant, denn der renommierte Name des Alfred-Wegener-Instituts, das das Patent finanziert hatte, sowie Förderung durch öffentliche Gelder machten das Thema brisant. Für mich jedoch bedeutete dieser Rechercheauftrag: Ein bisschen Marketing-Schummelei würde noch keine Veröffentlichung rechtfertigen. Kann ich nachweisen, dass die Firma nachweislich Dreck am Stecken hat?

 

Tatsächlich wurde mir nach einigen Telefonaten innerhalb der Störzüchter-Szene relativ schnell klar, dass die Marketingversion, die die Firma über die angeblich innovative Methode verbreitete, nicht stimmen konnte. Bei der angeblichen Weltneuheit der unblutigen Rogen-Entnahme handelte es sich tatsächlich um eine weltweit verbreitet Standardmethode, den die Firma lediglich um einen innovativen Aspekt ergänzt hatte. Auch musstem die öffentlich bekanntgegebenen Produktionszahlen und –zeiträume stark geschönt sein. Alles, was das Unternehmen über sich selbst verbreitete, war nicht so richtig falsch, aber auch nicht so richtig richtig. Auf diesem Wissensstand steckte ich mehrere Wochen fest, die Recherche ging nicht vorwärts und nicht rückwärts.

 

Also buchte ich bei der Akademie der Bayerischen Presse das Seminar Investigative Recherche bei Thomas Schuler – und dort stellte ich staunend fest, dass ich trotz Dutzender Telefonate und zeitraubender Grübeleien bislang jede Menge Recherchewege zu mehr Insiderwissen noch nicht gegangen war, obwohl diese offensichtlich vor mir lagen – von systematischer Internetrecherche bis hin zum offensiven Anfragen von Insidern. Vor allem aber musste ich mir klarmachen, dass es für einen Journalisten nichts Anrüchiges ist, wildfremde Menschen anzusprechen und sie nach (Betriebs)-geheimnissen auszufragen – das ist hat der Job! So fuhr ich von München nach Hause mit dem Gefühl, dass noch jede Menge Recherchearbeit vor mir lag.

 

Zusammen mit dem Spiegel-Redakteur stellte ich Dutzende Behördenanfragen. Ich wühlte mich online durch das Handelsregister, und rückverfolgte gelöschte Websites. Mein Spiegel-Kollege besorgte interne Gutachten. Ab da war die Zusammenarbeit fruchtbar.

 

Am Ende konnten wir den Anfangsverdacht mit der Phantomproduktion zwar nur teilweise erhärten. Aber die angeblich so tierschutzgerechte und nachhaltige Produktionsmethode stellte sich zulassungsrechtlich als ein zweifelhaftes Konstrukt heraus: Eine Rogenentnahme ohne Schlachtung funktioniert nur, wenn die Fische vorher hormonell geimpft werden, doch in der Lebensmittelproduktion ist der Einsatz von Hormonen nicht zulässig. Um eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, griffen die Firmeninhaber zu einem Trick: Sie meldeten ihre Luxuslebensmittel-Produktion als „Tierversuch“ an – zum Zweck des „Arterhalts“ einer bedrohten Tierart. Die Behörden spielten mit: Sie erteilten nicht nur alle notwendigen Konzessionen für den systematischen Hormoneinsatz, sie schossen den offensichtlich gut vernetzten Firmengründern zudem fast 700 000 Euro an Fördergeldern hinterher. Damit förderten sie wohlgemerkt nicht den Tierversuch, sondern die kommerzielle Lebensmittelproduktion.

 

Nun ja, am Ende war die ganze Geschichte doch recht knifflig, verwickelt und rechtlich heikel. Im Investigativ-Journalismus ist nicht nur das Recherchieren haarsträubend schwierig, sondern auch das Schreiben, stellte ich fest – zumindest dann, wenn es halbwegs rechtssicher sein soll. So war ich am Ende heilfroh, einen erfahrenen Redakteur an meiner Seite zu haben, der den Löwenanteil der Schreibarbeit übernommen hat, ich selbst lieferte Textbausteine zu.

 

Ich selbst freue mich über einen Nachfolgeauftrag – ähnliches Thema, aber größer im Umfang. Dank Tom Schulers Starthilfe werde ich diese Recherche von vorn herein systematisch angehen.

 

Andrea Rehmsmeier lebt als freie Journalistin in Hannover: http://www.medien-am-markt.de/team/andrea-rehmsmeier/

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DIe Kaviar-Dealer von Andrea Rehmsmeier im SPIEGEL (53/2015)
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