ProRecherche-Werkstatt im Sommer 2017 an der Uni Eichstätt:
Spannende Investigativ-Recherche
schaffte es in die ZEIT
“Erwarten Sie eine extrem hohe Schadensersatzklage, denn Sie wissen gar nicht, auf was
Sie sich einlassen”, keifte uns eine nasale Stimme aus der Telefonleitung an. Die Stimme
gehörte Rolf Herbrechtsmeier aus Detmold. Über ihn und seine zwielichtigen Geschäfte
hatten wir zuvor über drei Monate recherchiert. Nicht nur einmal stand unsere Geschichte in
der Schwebe. Wichtige Kontaktpersonen meldeten sich plötzlich nicht mehr. Nichts ging
vorwärts, nichts ging rückwärts. Als uns Herbrechtsmeier aber bei der Konfrontation am
Ende unserer Recherche ganz unverhohlen drohte, wussten wir: Der Igel zeigt seine
Stacheln, die Story ist wasserdicht.
Alles begann mit einer dubiosen Facebook-Werbung Herbrechtsmeiers im Frühjahr 2017:
“MPU-Anordnung? Wir bringen Sie 100% günstig, legal und rechtssicher wieder auf die
Straße!” Eine Annonce, die deutschen Fahrsündern verspricht die MPU zu umgehen - das
warf bei uns zwei Fragen auf: Geht das überhaupt? Und: Was steckt hinter dem Angebot?
So spannend investigative Recherche klingen mag - der Grundstein ist oft monotone, aber
unvermeidbare Schreibtischarbeit. Europäische Richtlinien, Gerichtsurteile, Einschätzungen
von Juristen und Berichte von Behörden - um sich einen theoretischen Überblick zu
verschaffen, musste zu Beginn jede auffindbare Information zum Führerscheinrecht
zusammengetragen und analysiert werden. Das Ergebnis: Über Jahre gab es Schlupflöcher
für sogenannte Führerscheintouristen, die die EU mittlerweile aber weitestgehend gestopft
hat. An Herbrechtsmeiers Angeboten muss also etwas faul sein. Dafür brauchten wir Beweise.
Über Facebook nahmen wir Kontakt zu ehemaligen Kunden Herbrechtsmeiers auf. Mit drei
von ihnen trafen wir uns kurze Zeit später persönlich in Hessen. Gerade bei einem heiklen
Thema wie diesem schafft ein ausführliches Sechs-Augen-Gespräch Vertrauen - und das
war in diesem Fall essentiell. Der Tenor der Gespräche war immer derselbe: Die ehemaligen
Kunden hatten alle Geld gezahlt, aber keine Führerscheine bekommen.
Budapest, Ungarn. Unangemeldeter Besuch in der Anwaltskanzlei von Daniel K., einem
Mittelsmann, der eine ungarische Firma Herbrechtsmeiers verwaltet. Hier sollten wir zum
ersten Mal unsere Deckung aufgeben, die wir die ganze Recherche über aus strategischen
Gründen aufrechterhalten hatten. Im Büro stoßen wir lediglich auf dessen Bruder, der K. für
uns anruft. Auch nach mehrmaligem Nachfragen will der nichts von Führerscheingeschäften
wissen. Die Mine des Bruders wird misstrauischer. Auf dem geliehenen Handy hat sich
unterdessen ein Schweißfilm gebildet. Froh, diese heikle Situation überstanden zu haben,
machten wir uns im Anschluss des Gesprächs auf den Weg zu Herbrechtsmeiers
ungarischer Firmenadresse. Die stellte sich als baufälliges Wohnhaus ohne Klingelschild,
Briefkasten und Büroräumlichkeiten heraus. Lediglich eine Plakette am Eingang wies auf
Herbechtsmeiers Firma hin. Die Erkenntnis unserer Vorort-Recherche: Hier wird ziemlich
sicher keinen Geschäften nachgegangen.
Wir hatten nun einige Indizien gegen Herbrechtsmeier in der Hand. Um die Geschichte
drucken zu können, fehlte allerdings etwas Handfestes. Dann kam der Durchbruch. Eine
unserer Quellen schickte uns einen Zeugenaufruf des Finanzamts Bielefeld und der
Staatsanwaltschaft Detmold, die gegen Rolf Herbrechtsmeier wegen des Verdachts auf
gewerbsmäßigen Betrugs und Steuerhinterziehung ermittelten. Damit stand die Geschichte
endgültig.
Am Ende konfrontierten wir Rolf Herbrechtsmeier mit den Ergebnissen der Recherche -
unsere Pflicht als Journalisten. Ein Mail mit über 40 Fragen blieb unbeantwortet. Also
versuchten wir es telefonisch. Auch hier wollte Herbrechtsmeier keine Stellung nehmen.
Stattdessen prahlte er: Er kenne Leute, die uns nicht einmal die Hand geben würden.
DIE ZEIT druckte unsere Geschichte letztlich auf einer ganzen Seite im Wirtschaftsteil. An
dieser Stelle gebührt der Dank unserer Dozentin Friederike Herrmann von der Kath. Universität
Eichstätt, die unsere Abgabetermine mehr als einmal nach hinten verschoben hat, Professor
Ernst Fricke für seine Engelsgeduld und rechtliche Expertise.
Vor allem aber möchten wir Wolfgang Messner von ProRecherche danken, der uns nicht nur
den Kontakt zur ZEIT vermittelt hat, sondern uns auch während der Recherche - sei es bei
Behördenanfragen oder Fragen zum taktischen Vorgehen - stets zur Seite stand. Ohne ihn
wäre diese Recherche sicher nicht möglich gewesen."